Buchhandlung und Verlag des Jahres 2024
Buchhandlung und Verlag des Jahres 2024 stehen fest!
Wir gratulieren der Buchhandlung Buchhandlung zum Zytglogge und dem Verlag vatter&vatter herzlich zur Wahl!
Die Gewinnerinnen und Gewinner erhalten ein Preisgeld von je 5000 Franken, das vom Buchzentrum gesponsert wird.
Das waren die 6 Nominierten
Seit 2010 vergibt der SBVV den Preis des Schweizer Buchhandels. Jeweils drei Buchhandlungen und drei Verlage werden nominiert.
Bücherladen Appenzell
Die Jury zum Bücherladen Appenzell:
«Die Anpassungsfähigkeit und die Leichtigkeit machen den Bücherladen Appenzell für die einen zum Kleinod in der Buchhandelslandschaft, für die anderen zum Modell. Seit über 30 Jahren navigiert und transformiert Carol Forster ihre Buchhandlung gemeinsam mit ihrem Team von Ära zu Ära, ohne dabei die Philosophie und schon gar nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Berichte und Rückmeldungen von der mit Humor und Herzblut begleiteten Kundschaft und die Anlässe wie zum Beispiel das Buchkunstfest Kleiner Frühling strahlen weit über die Region hinaus. Der erfolgreiche Sprung an die Toplage in Appenzell ist beeindruckend, der Schritt zur Aktiengesellschaft und die Investitionen in die Zukunft sind vorbildlich.»
Buchhandlung am Kronenplatz, Burgdorf
Die Jury zur Buchhandlung am Kronenplatz:
«Eine Traditionsbuchhandlung von 1831, die sich rasch verändern musste, um in Burgdorf als letzte ihrer Art zu bestehen. Als Trix Niederhauser 2020 Geschäftsführerin wurde, standen ihr die Pandemie und zwei Umzüge bevor: Eigenhändig rollte sie die Wägeli über Pflastersteine und eröffnete den Laden nach einer Zwischennutzung im Eisenwarengeschäft in einem frisch renovierten, ebenfalls traditionellen Haus Ende 2021 neu. Dabei hatte sie den Betrieb und die Veranstaltungen jederzeit aufrechterhalten. Trix Niederhausers Krimi-Kenntnisse ziehen das Publikum nach Burgdorf, vor allem auch an die Krimitage, bei deren Programmierung die Krimiautorin tatkräftig mitwirkt – ein durch und durch imponierendes Zusammenspiel.»
Buchandlung zum Zytglogge, Bern
Die Jury zur Buchhandlung zum Zytglogge:
«Die 88-jährige Buchhandlung in Bern hat bereits viele Inhaberinnen erlebt. Mit Gabriela Bader stieg 2016 eine Bücherfrau quer ein, die dem kleinen Laden ein geschmackvolles, zeitgenössisches, luftiges Kleid und damit auch neue Kundschaft angezogen hat. Veranstaltungen, für welche die Buchhandlung neben dem Zytglogge viel zu klein wäre, werden mit Herzblut und gut moderiert in anderen Lokalitäten durchgeführt, und das Engagement an Büchertischen lässt die Inhaberin und ihr Team weit herum mit Leserinnen und Lesern ins Gespräch kommen. Seit 2020 bildet die Buchhandlung angehende Buchhändlerinnen aus, die den Laden aktiv mitgestalten. Die Mischung aus Frische und Langfristigkeit beeindruckt.»
Arisverlag, Embrach
Die Jury zum Arisverlag:
«Der Arisverlag Embrach wurde 2017 von Katrin Sutter gegründet und legte einen fulminanten Start hin. Von Anfang an ist es dem jungen Verlag gelungen, sich mit einem frischen, breitgefächerten Programm beim Publikum bemerkbar und einen Namen zu machen. Gerade auch die Sachbücher treffen den Ton und werden von den Leserinnen und Lesern begeistert angenommen. Die engagierte, clevere und sympathische Medienarbeit spielt dabei eine wichtige Rolle und hat in erstaunlich kurzer Zeit zu beeindruckenden Erfolgen geführt sowie neue Menschen fürs Buch als Medium eingenommen.»
Unionsverlag, Zürich
Die Jury zum Unionsverlag:
«Der Unionsverlag Zürich ist ein Leuchtturm in der Schweizer Verlagsszene. Seit 49 Jahren amtet der Verlag als Scout für Entdeckungen von Autorinnen und Autoren aus der ganzen Welt und hierzulande weniger oder gänzlich unbekannten Sprachräumen. Umsichtig und engagiert wird der Wechsel der Stoffe zwischen besonderer Nähe und weiter Ferne betreut und zu Büchern gemacht, die über die Landesgrenzen hinaus wiedererkannt und geschätzt werden. Der Schritt in die Zukunft ist 2023 mit neuen Besitzverhältnissen vollzogen worden, der Platz in der Schweiz und in der Verlagsszene bleibt erhalten.»
vatter&vatter, Bern
Die Jury zu vatter&vatter:
«Der Berner Verlag vatter&vatter versteht es, seine Produkte konzeptionell und partizipativ zu gestalten, wobei ihm hohe Qualität in der Herstellung und formale Vielfalt gelingt. Seit fast zehn Jahren wird im Kleinverlag konsequent vom Ergebnis her gedacht und am Kundenerlebnis getüftelt. Die aussergewöhnlichen Formate sprechen ein breites und für den Handel neues Publikum an. Wortfächer, Pappbücher, Gedankenblöcke und viele weitere Produkte bereiten überall Freude, wo Menschen sich an Inhalte herantasten.»
*Alle bisherigen nominierten und ausgezeichneten Buchhandlungen und Verlage finden Sie in dem beigefügten PDF.
Die perfekte Kombination
Wie viele Buchhandlungen mag es wohl in Appenzell Innerrhoden geben? Tatsächlich ist es nur eine einzige: der Bücherladen Appenzell im gleichnamigen Hauptort des Halbkantons. Vier Frauen versorgen die Kundschaft nicht nur mit Lesestoff, sondern auch mit Kultur.
«Wir tun viel für die Leseförderung und lancieren regelmässig Veranstaltungen», so die 63-jährige Inhaberin Carol Forster. So ist das Angebot «Einschliessen & Geniessen» immer ausgebucht. «Kunst am Bogen» gibt Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform, ihre Werke an der Bogenwand des Ladens zu präsentieren. Und auch eine Bar gibt's im Lokal mit dem wunderschönen steinernen Gewölbe; sie heisst Bücherladen Bar. Carol Forster: «Kundinnen und Kunden kommen mit ihren Lieblings-Vinylschallplatten vorbei und legen den Soundtrack des Abends auf.» Das passt, denn im Bücherladen Appenzell sind auch Secondhand-Vinylschallplatten zu haben.
Ein Pick-up für Bücher
Gerade weil der Bücherladen weit und breit die einzige Buchhandlung ist, haben Carol Forster und ihre Mitarbeiterinnen in fünf umliegenden Dörfern Bücherstationen eingerichtet. Ein weiteres Engagement liegt in der Kulturvermittlung. Schon vor vielen Jahren lancierte Carol Forster die Bücherfreunde, für die man eine Art Mitgliedschaft erwerben kann. Die Beiträge werden gezielt eingesetzt; zum Beispiel für kulturelle Veranstaltungen im Laden. «Wir wollen sichtbar machen, dass Buchhandlungen nicht nur Bücher verkaufen, sondern Kultur vermitteln und Leseförderung betreiben.»
Was unter der Oberfläche ist
Das Sortiment wird mit Sorgfalt ausgewählt. Buchhändlerin Vanja Hutter: «Wir legen Wert auf eine möglichst breite Vielfalt und haben auch ein Augenmerk auf spezielle Bücher, die sonst nicht an der Oberfläche schwimmen.» Auch die persönlichen Leseinteressen fliessen in die Auswahl mit ein. «Wir alle lesen Unterschiedliches und viel», sagt die Inhaberin. Heute ist das Team vierköpfig: Carol Forster, Vanja Hutter, Michelle Schoch und Isabella Husistein. Aber angefangen hat Carol Forster 1992 allein. «Ich war so begeistert von der Aussicht auf eine eigene Buchhandlung, dass ich Familie und Freunde um finanzielle Unterstützung bat.» Mit Erfolg. Einfach waren die ersten Jahre trotzdem nicht. Und heute? Nach zwei Umzügen ist der Bücherladen in der Hauptgasse, «Appenzells Bahnhofstrasse», angekommen, steht auf soliden Füssen – und das geliehene Kapital ist schon längst zurückgezahlt.
Das Da-Sein der Buchhändlerin
Bereits mit 10 Jahren wusste Trix Niederhauser, dass sie Buchhändlerin werden wollte. Mit 51 wurde sie Inhaberin der Buchhandlung am Kronenplatz in Burgdorf. Sie führt ihr Geschäft im Emmental mit Bescheidenheit und Eleganz.
Trix Niederhauser führt die Buchhandlung am Kronenplatz allein, seit sie diese vor drei Jahren von ihrer Vorgängerin Elisabeth Zäch übernahm. Fast 30 Jahre war sie davor angestellt. Sie passt in diese Buchhandlung, steckt voller Witz und bodenständiger Bescheidenheit: Alles muss man ihr entlocken. Nur nebenbei erfährt man, dass sie im OK für die Burgdorfer Krimitage ist und aktuell für eine Schauspielgruppe eine szenische Lesung über Alfred Hitchcock schreibt. Als Autorin hat sie bereits drei Belletristikromane und zwei Krimis veröffentlicht. Ein neues Buch ist fast fertig.
Neustart
Als sich Trix Niederhauser zum Kauf entschloss, lief gerade der Pachtvertrag für die Räume aus, in denen einst Carl Langlois seine Buchhandlung eingerichtet hatte. Gleich gegenüber am Platz wurde ein Altstadthaus aufwändig saniert. Im Parterre erschienen im Lauf der Renovierungsarbeiten helle Kassettendecken aus Holz und Wandmalereien aus dem Jahr 1620. Auch ein uraltes magisches Quadrat tauchte in den Räumen der ursprünglichen Beiz auf. Der Hausbesitzer war ein grosser Buchliebhaber und bot Trix Niederhauser diese Räume als Kulisse für die neue Buchhandlung an. «Wenn ich so etwas hätte suchen wollen, ich hätte es nicht gefunden.»
Grosse Auswahl auf kleinem Raum
Die Büchergestelle sind elegant an einer Seite des Raums montiert. Beim Eingang steht der Tisch mit der Auslage, der die sichere Hand der erfahrenen Buchhändlerin verrät: Viele spezielle Verlage sind darunter, die Bücher warten im Stapel auf die Kundschaft. «Sachen, die gut gehen, nehme ich gern gleich 3 oder 10 Mal», erklärt Trix Niederhauser. «Es gibt auch viele Bücher, die ich auf bestimmte Leute zugeschnitten einkaufe, und dann schaue ich, ob sie in die Falle gehen.» Sie lacht. Wieder ganz nebenbei sagt sie über ihren Beruf: «Man muss kämpferisch unterwegs sein. Parat sein. Da sein.» In ihrem Fall ist Da-Sein sehr wörtlich gemeint. Als sie vor zwei Jahren einen Bandscheibenvorfall erlitt, setzte sie nur einen Tag aus – ihre ehemalige Kollegin Elisabeth Zäch sprang ein. Als sie letztes Jahr den Oberschenkel brach, ging sie am gleichen Tag noch mit Krücken zur Arbeit, Ihre Kundschaft sollte nicht vor verschlossener Tür stehen.
Menschen und Bücher zusammenbringen
In der seit 1936 bestehenden Buchhandlung zum Zytglogge in Bern vereinen Gabriela Bader und ihr Team die Leidenschaft für Literatur mit dem Wunsch, Menschen und Bücher zusammenzubringen. Was 2014 an der Buchmesse in Leipzig seinen Anfang nahm, ist heute ein kleines Unternehmen voller Charme und Engagement.
2014 war die Schweiz Gastland an der Buchmesse in Leipzig. Gabriela Bader meldete sich als freiwillige Helferin. «Am letzten Messetag lernte ich in der Garderobe Gurli Jensen kennen, der damals die Buchhandlung zum Zytglogge gehörte und die mir ein einjähriges Praktikum anbot.» Ganz nebenbei erwähnte Gurli Jensen, dass sie ausserdem in einem Jahr pensioniert werde. «Ich erlaubte mir in jenem Moment noch nicht, diese Bemerkung richtig in mich aufzunehmen», sagt Gabriela Bader. Nach drei Monaten Praktikum wurden sich die beiden Frauen jedoch bereits einig: Gabriela Bader würde den Laden am 1. Januar 2016 übernehmen.
Das Sortiment ist Teamwork
Gemeinsam wählt das sechsköpfige Zytglogge-Team – bestehend aus den Buchhändlerinnen Karin Winkelmann und Sandra Beer, die bereits bei Gurli Jensen mitarbeiteten, sowie Fleur Loosli, Aras Mohamad, die 2020 die erste Lernende war, und Debora Kiener, die aktuell im zweiten Lehrjahr ist – das Sortiment aus. Das Ergebnis ist ein sorgfältig kuratierter Mix aus literarisch anspruchsvoller Belletristik und Lyrik, den die Kundschaft ebenso zu schätzen weiss wie die persönliche Beratung in der Buchhandlung.
Kunst und Bernensia
Ein zweiter Schwerpunkt bildet die Kunst. Zeitgenössisches aus Bildender Kunst, Architektur, Fotografie, Design und Gestaltung ist im zweiten Raum der knapp über 60 Quadratmeter kleinen Buchhandlung zu finden. Diesen Bereich baute Gabriela Bader aus persönlichem Interesse auf. Es sei eine Spezialität, die auf Resonanz stosse. Im Sachbuch-Bereich verfolgt das Zytglogge-Team die gesellschaftlich relevanten Themen. «Und für Bernensia kommen die Bernerinnen und Berner fast automatisch in die älteste Buchhandlung der Altstadt», weiss die Inhaberin.
Lieblingsbücher der Kundschaft
Im Projekt «Luelueg» stellt eine Künstlerin, ein Künstler im Schaufenster eine Arbeit aus. Eine andere Arbeit wird als Postkarte gedruckt, die dann exklusiv in der Buchhandlung erhältlich ist. Bei «XY’ Choice» lädt das Team in unregelmässigen Abständen eine Kundin, einen Kunden ein, ihre oder seine Lieblingsbücher im Schaufenster zu präsentieren. Die Person wird mit Bild und einer Kurzbiografie vorgestellt. Gabriela Bader: «Es gibt doch nichts Spannenderes als Lesebiografien.»
Verlegerin Löwenherz
26 Bücher hat der Arisverlag in 7 Jahren veröffentlicht. Die Romane, Sachbücher und Kinderbücher geben Schweizer Autorinnen und Autoren eine Bühne und landen regelmässig auf der Bestsellerliste. Katrin Sutter hat diese Erfolgsgeschichte leidenschaftlich und höchst professionell aufgezogen.
«Lieblingsbücher» nennt Katrin Sutter ihr Verlagsprogramm, und darin haben Sachbücher, Romane und Kinderbücher gleichermassen Platz. Etwa fünf Bücher erscheinen pro Jahr – nicht wenige haben die Stufen der Bestsellerlisten erklommen. Am Anfang des Verlags stand aber das Buch «Tigerherz» über den Spitzensportler Lucas Fischer, der an Epilepsie erkrankte. Katrin Sutter hatte ihn für das SRF-Format «Sportlounge» mehrmals als Filmemacherin begleitet. «Nach seinem Rücktritt fiel er in ein Loch. Ich sagte ihm: Wir machen ein Buch zusammen. Ich wollte aber nicht auf Verlagssuche gehen, sondern es im Rahmen meiner Firma Redaktionsbüro.ch publizieren.» Während sie das Buch schrieb, besuchte sie den Quereinsteigerkurs Verlag beim SBVV und lancierte ein erstes Programm. «Es war mir einfach so ernst mit diesem Verlag. Wenn schon, dann richtig, das war meine Devise.»
«VON WEGEN»
Die ersten 5 Jahre verdiente Karin Sutter noch nichts. «Und ganz ehrlich, manchmal hätte ich den Verlag am liebsten verschenkt.» Ihr erstes Gehalt konnte sie sich auszahlen, als 2022 «VON WEGEN – Eine Frau allein auf der Via Alpina» von Christina Ragettli ein Bestseller wurde. Heute beschäftigt die Verlegerin auch eine freie Mitarbeiterin: Paula Fricke ist ihre rechte Hand und bremst sie auch mal, wenn sie zu viel machen will.
Verlagssitz Embrach
Die eigenen Kräfte einzuteilen, gehörte auch zum Aufbau des Verlags. Nachdem sie für ihre Firma 20 Jahre lang ein Büro im Hunzikerareal in Zürich gemietet hatte, verlegte sie den Hauptsitz während Corona ins eigene Haus in Embrach, und sie blieb dabei. «Ich habe ich ein schönes Zuhause, voller Bücher, und ich arbeite gern daheim. Mein Treffpunkt Zürich ist das Sphères.»
Sphères als zweite Verlagsheimat
Die Buch-Bar passt perfekt zu ihrem Verlag: eine niederschwellige Bühne für Bücher in all ihren Formen, beweglich und modern. Viele ihrer Veranstaltungen führt Katrin Sutter im Sphères durch. Dazu gehören etwa Interviews zu den Lesungen, Mundartwettbewerbe oder Bildervorträge. «Ich versuche, auch bei Lesungen etwas Spezielles zu kreieren», sagt sie. Und irgendwann möchte sie vielleicht noch eine Buchhandlung übernehmen. «Das ist ein alter Traum: Verlegerin und Buchhändlerin.»
Mischung aus Schicksal und Geschicklichkeit
Über 1000 Werke aus 40 Sprachen entliess der Unionsverlag in seiner fast 50-jährigen Geschichte in die Welt. Manche machten Furore, andere nicht. Um ein halbes Jahrhundert auf diesem harten Pflaster zu bestehen, braucht es Fleiss, Geduld und manchmal auch schlicht und einfach «Fortune».
Das Abenteuer «Unionsverlag» begann mit 2000 Franken Startkapital, einer IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine sowie Schere, Leim und Pinsel in Lucien Leitess’ Küche. «Die Gründung war ein politisches Projekt. Wir wollten Vergessenes aus der Schweizer Arbeiterbewegung wieder hervorholen.» Ein literarisches Programm entstand, das bald auch eine internationale Autorenschaft beinhaltete. Lucien Leitess deutet auf ein Bücherregal. «Damals gab es noch kein Internet, also arbeitete ich Lexika durch und kreuzte mit Leuchtstift an, was mich interessierte.» Er schaffte es bis zum Buchstaben M. «Deshalb waren in den ersten Jahren Autoren mit Namen von A bis M wohl etwas überrepräsentiert.» Matthias Gräzer, der 2008 zum Unionsverlag stiess und heute Leiter des Büros in Zürich und Vertriebsleiter ist, ergänzt: «Ich glaube, es ist tatsächlich auch eine nimmermüde Teamarbeit, die es dem Unionsverlag ermöglicht hat, in den letzten 50 Jahren immer wieder für Überraschungen zu sorgen.» Tatsächlich entdeckte der Verlag schon früh ausländische Autorinnen und Autoren, die später grosse Bekanntheit erlangten. Auch für erfolgreiche einheimische Texte hat man im Unionsverlag ein Gespür.
«Fortune»
Dass er ein Näschen für spannende Geschichten hat, will Lucien Leitess so nicht stehen lassen. «Man vergisst leicht, dass solche Highlights nicht die Regel sind. Unser Weg war und ist mit Niederlagen gepflastert.» Deshalb sieht er im Rückblick die grösste Leistung des Verlags eher darin, dass er so viele «exquisite Programmentscheidungen» überlebt hat. «Vielleicht hatten wir auch ganz einfach ‹Fortune›, wie Clausewitz sagte. Oder ein gutes Geschick als Mischung aus Schicksal und Geschicklichkeit.»
Ungelegte Eier
Nun wird in Zürich ein neues Kapitel aufgeschlagen. Der Unionsverlag begab sich letztes Jahr unter das Dach der Münchner Verlagsgruppe C. H. Beck, Lucien Leitess trat in den Hintergrund. «So lang ich im Übergang nützlich bin, gebe ich aber weiterhin meinen Input.» Doch müde ist er noch lang nicht. «So lang man beim Aufwachen wieder frische Pläne und Projekte hat, ist alles gut.» Und die hat er – verrät allerdings kein Sterbenswörtchen. «Meine Grossmutter sagte immer, über ungelegte Eier solle man nicht sprechen. Aber ich hatte und habe ein intellektuelles Leben über den Verlag hinaus.»
Der aus der Reihe tanzt
vatter&vatter ist zwar bekannt für seine Wimmelbücher. Doch aussergewöhnliche Publikationsformate wie Wortfächer über Adjektive, Komplimente oder Flüche gehören ebenso zu seiner DNA. Der Berner Kleinverlag ist weder Fisch noch Vogel, weder Buch noch Non-Book. Sondern eher «Near-Book», wie der Gründer sagt.
vatter&vatter ist ein Verlag, den man in keine Schublade stecken kann. Gründer Matthias Vatter: «Wir unterscheiden uns stark von anderen Verlagen. Unsere Projekte entstehen in unserem Haus, in unseren Köpfen. Wir entwickeln häufig unsere eigenen ‹Furzideen›.» Spezielles mögen alle im Team – bestehend aus Matthias Vatter, seiner Frau Beatrice Kaufmann, seiner Schwester Anja Vatter, Annina Schneller, Julia Bogdanovic, Jasmin Lea Christen und Julie Zenger.
Kotztüten sind im Fall schön!
«Für Reisekranke» ist so ein spezielles Werk. Das Buch der Künstlerinnen Eliane Häfliger und Sara Eggel handelt von – Kotztüten! Die schönsten Spuckbeutel in Flugzeugen sind darin zu sehen. Matthias Vatter: «Die Künstlerinnen kamen mit dieser Idee auf uns zu, sie gefiel uns sehr gut. Und lustigerweise ist der Weltmarktführer für Kotztüten, Verpackungsspezialist ELAG ast, in Kirchberg zuhause, ganz in der Nähe von Bern.»
Aufgefächerte Worte
Ein weiterer Spezialfall sind die Wortfächer. Das war eine Idee von Anja Vatter. Ihr Bruder erinnert sich: «Sie ist Texterin/Konzepterin, und ihr war aufgefallen, dass Adjektive die deutsche Sprache farbig, vielfältig und vielschichtig machen. Darum wollte sie in Anlehnung an den Pantone-Farbfächer einen Wortfächer mit Adjektiven machen.» Die Geschwister merkten schnell: Dieses Auffächern einer begrifflichen Welt funktioniert nicht nur mit Adjektiven.
Es wimmelt
Das Steckenpferd des Verlags sind aber seine Wimmelbücher. «Die Möglichkeit, auf einem Bild über mehrere Ebenen und Vertiefungen unterschiedlichste Botschaften und Geschichten ganz ohne Worte zu transportieren, fasziniert uns alle wahnsinnig.» Das erste Wimmelbuch aus der Schmiede von vatter&vatter hatte die Stadt Bern zum Thema. Die Illustrationen stammen von Matthias Vatters Frau, die als selbstständige Illustratorin tätig ist.
«Near-Books»
Das klassische belletristische Buch sucht man beim Berner Kleinverlag vergebens. «Es gibt genügend Kolleginnen und Kollegen, die das bereits sehr gut machen, da braucht es uns nicht auch noch», meint der 53-Jährige lapidar. «Wir sind eigentlich kein Buchverlag, sondern eher ein Non-Book-Verlag. Wobei mir diese Bezeichnung nicht gefällt, wir machen ja keine Mauspads mit dem aufgedruckten Spruch eines Dichters. Ich würde sagen, wir machen Near-Books.»